Seit dem 1. April 2024 ist Cannabis in Deutschland in begrenztem Umfang legal: Erwachsene dürfen bis zu 50 Gramm besitzen, konsumieren und drei Pflanzen selbst anbauen. Was auf dem Papier wie ein liberaler Durchbruch wirkt, erweist sich in der Praxis als Regelwerk mit gravierenden Lücken. Denn vielen Konsument:innen fehlt weiterhin ein verlässlicher, legaler Zugangsweg.
Zahlreiche Betroffene weichen notgedrungen auf telemedizinisch ausgestellte Rezepte aus – bislang der einzige funktionierende Kanal, um Cannabis legal zu beziehen. Doch genau dieser Weg steht nun vor dem Aus. Die Folge: Selbst Menschen, die verantwortungsvoll konsumieren möchten, werden in die Illegalität gedrängt.
Cannabis auf Rezept
Für Patient:innen, die Cannabis aus medizinischen Gründen benötigen, gilt der Weg über ein ärztliches Rezept offiziell als legaler Standard. In der Realität aber ist dieser Zugang zunehmend unzuverlässig – und droht bald ganz wegzubrechen.
Niedergelassene Ärzt:innen zeigen sich zurückhaltend.
Viele Mediziner verschreiben kein Cannabis – aus rechtlicher Unsicherheit oder weil ihnen das nötige Know-how und Wissen in diesem Kontext fehlt.
Telemedizin füllt diese Lücke – noch.
Digitale Sprechstunden bieten derzeit eine pragmatische Lösung, vor allem für Menschen ohne wohnortnahe Versorgung oder mit Bedarf an Diskretion. Über Online-Anamnesebögen und Videoberatung erhalten Patient:innen Privatrezepte, die sie selbst bezahlen und per Versandapotheke einlösen können.
Doch dieser Weg steht unter Beschuss: Die Bundesregierung plant, Online-Rezepte künftig zu verbieten. Für Rezepte soll dann ein persönliches Arztgespräch verpflichtend werden.
Die Konsequenz: Wer heute auf medizinisches Cannabis angewiesen ist, könnte schon bald ohne legale Versorgungsmöglichkeit dastehen.
Telemedizin vor dem Aus – Rückkehr zum Schwarzmarkt
Mit dem geplanten Verbot von Online-Rezepten fällt für viele Konsument:innen der letzte praktikable Zugang zu legalem Cannabis weg. Künftig soll der erste Arztkontakt zwingend persönlich erfolgen, digitale Verschreibungen und der Versand über Apotheken entfallen. Was bürokratisch klingt, hat weitreichende Folgen – vor allem für Personen, die Cannabis aus Genusszwecken konsumieren.
Für die Konsumenten entsteht ein Versorgungsloch und die Dealer freuen sich.
Was also bleibt, ist der Schwarzmarkt.
Dort gibt es keine Qualitätskontrollen, keinen Jugendschutz, keine Transparenz – weder bei Inhaltsstoffen noch bei Preisen. Wer Cannabis illegal kauft, riskiert verunreinigte Ware, überhöhte Kosten und rechtliche Konsequenzen.
Die Ironie: Ein Gesetz, das Entkriminalisierung und Verbraucherschutz verspricht, treibt verantwortungsbewusste Konsument:innen zurück in die Illegalität.
Legalisiert wird auf dem Papier – kriminalisiert in der Praxis.
Eigenanbau: erlaubt, aber unbrauchbar für die Mehrheit
Das aktuelle Gesetz erlaubt Erwachsenen den Anbau von bis zu drei weiblichen Cannabis-Pflanzen. Auf dem Papier klingt das nach Selbstbestimmung – in der Praxis ist es für viele schlicht keine Option.
Wohnsituation:
Wer in einer durchschnittlich großen Wohnung lebt, stößt schnell an Grenzen. Indoor-Anbau erfordert Platz und Diskretion – Voraussetzungen, die die meisten nicht erfüllen können, vor allem in Großstädten.
Aufwand und Fachwissen:
Vom Keimling bis zur getrockneten Blüte vergehen mehrere Monate. Die Pflanzen brauchen Beleuchtung, Belüftung, Düngung, Schädlingskontrolle und zum Schluss eine fachgerechte Trocknung. Ein einziger Fehler kann die gesamte Ernte ruinieren. Für Gelegenheitskonsument:innen steht der Aufwand in keinem Verhältnis zum Ertrag.
Keine kurzfristige Lösung:
Wer heute Cannabis braucht, kann nicht einfach morgen eigenes ernten. Selbst unter idealen Bedingungen vergehen rund vier Monate, bis konsumfertiges Material vorliegt. Für den direkten Bedarf ist der Eigenanbau somit unbrauchbar.
Fazit:
Der Eigenanbau ist ein theoretisches Recht, aber keine praktikable Bezugsquelle – und ersetzt keinen regulären Markt.
Cannabis-Clubs: versprochen, aber ausgebremst
Ein zentrales Versprechen der Legalisierung waren die sogenannten Cannabis-Clubs – nicht-kommerzielle Anbauvereinigungen, in denen Mitglieder gemeinschaftlich anbauen und den Ertrag untereinander verteilen dürfen. Die Idee: eine wohnortnahe, legale Alternative zum Schwarzmarkt.
Die Realität sieht anders aus: Über ein Jahr nach Inkrafttreten des Gesetzes existieren die meisten Clubs nur auf dem Papier.
Bis Ende 2024 wurden bundesweit 392 Anträge gestellt – aber nur rund jeder achte genehmigt. In sieben Bundesländern (darunter Bayern, Berlin, Hessen, Schleswig-Holstein) gibt es bis heute keinen einzigen zugelassenen legalen Cannabis-Club.
Wie kann das sein?
Vor allem konservativ regierte Länder legen das Gesetz restriktiv aus – allen voran Bayern. Ministerpräsident Markus Söder erklärte öffentlich, Bayern werde „kein Kiffer-Paradies“ – und setzt diesen Kurs konsequent um.
Gründer:innen von Clubs berichten von zahlreichen Hindernissen:
- Unklare Zuständigkeiten: Niemand fühlt sich verantwortlich. Antragsteller:innen werden zwischen Behörden hin- und hergeschickt.
- Überzogene Auflagen: Sicherheitskonzepte, neutrale Verpackungen, 200-Meter-Abstände zu Schulen – selbst bei minimalen Abweichungen droht Ablehnung.
- Verzögerungstaktik: Bearbeitungen ziehen sich über Monate. Manche Anträge scheinen bewusst kleingerechnet oder formal beanstandet zu werden.
Die Folge: Wer auf einen Cannabis-Club als legale Bezugsquelle setzt, wartet vielerorts vergeblich.
Das Ergebnis:
Ein zentraler Pfeiler der Legalisierung bleibt in großen Teilen des Landes blockiert – nicht aus rechtlichen, sondern aus politischen Gründen.
Zwischenfazit: Drei Wege, keine Lösung
Die Reform sieht drei legale Bezugswege für Cannabis vor – doch keiner davon funktioniert zuverlässig:
- Auf Rezept: stark reguliert, Telemedizin steht vor dem Aus
- Eigenanbau: erlaubt, aber für viele unpraktikabel oder unmöglich
- Cannabis-Clubs: gesetzlich vorgesehen, vielerorts aber politisch blockiert
Das Ergebnis: Millionen Erwachsene dürfen konsumieren – aber nicht legal beschaffen.
Was als Legalisierung verkauft wird, entpuppt sich als unvollständige Freigabe mit strukturellem Versorgungsproblem.
Der Konsum ist legalisiert – der Zugang bleibt verwehrt.
Die Folge:
Der Schwarzmarkt bleibt nicht nur bestehen, sondern wird durch die Lücken im System weiter gestärkt. Genau das Gegenteil dessen, was die Reform eigentlich erreichen sollte.
Alkohol gut – Cannabis böse
Ein Blick auf den Umgang mit Alkohol macht deutlich, wie inkonsequent die deutsche Drogenpolitik ist.
Alkohol gehört zu den gesundheitsschädlichsten Konsumsubstanzen überhaupt – und ist trotzdem überall erhältlich, beworben und gesellschaftlich akzeptiert.
Die Fakten:
- Rund 47.500 Todesfälle jährlich durch Alkohol – mehr als durch alle illegalen Drogen zusammen
- 57 Milliarden Euro Folgekosten für das Gesundheits- und Sozialsystem
- Unbegrenzte Verfügbarkeit: Supermärkte, Tankstellen, Restaurants – ohne Beratung, Altersprüfung oder Dosierungshinweis.
- Omnipräsente Werbung, günstige Preise, kaum gesellschaftliche Debatte
Demgegenüber steht Cannabis:
- Keine dokumentierten tödlichen Überdosierungen
- Geringeres Risiko für körperliche und psychische Folgeschäden
- Keine aggressionsfördernde Wirkung – im Gegensatz zu Alkohol.
- Medizinisch und therapeutisch einsetzbar
Trotzdem ist der Zugang zu Cannabis stark eingeschränkt – selbst bei legalem Konsum.
Das Paradox:
Wer flaschenweise Wein kauft, braucht keinen Arzttermin. Wer Cannabis legal erwerben will, muss entweder krank sein, gärtnern 😉 oder auf nicht existierende Vereine hoffen.
Diese Doppelmoral ist nicht nur irrational, sondern gesundheitspolitisch nicht haltbar.
Was jetzt passieren muss
Damit die Legalisierung mehr ist als Symbolpolitik, braucht es konkrete Nachbesserungen. Drei Handlungsfelder sind zentral:
1. Aufklärung statt Bevormundung
Statt in alte Verbotsmuster zu verfallen, sollte der Staat auf Bildung und Konsumkompetenz setzen. Verantwortungsvoller Umgang mit Cannabis entsteht durch Wissen – nicht durch Kriminalisierung.
- Wirkungsweisen, Risiken und Konsumformen müssen transparent kommuniziert werden
- Prävention und Qualitätssicherung wirken nachhaltiger als Verkaufsverbote
- Nur wer informiert ist, kann souverän entscheiden – das gilt für Alkohol genauso wie für Cannabis.
2. Trennung von medizinischem und freizeitbezogenem Markt
Freizeitkonsumenten sollten nicht genötigt werden, Krankheiten vorzutäuschen, um Cannabis beziehen zu können. Und Patient:innen sollten nicht durch Bürokratie vom therapeutischen Einsatz abgehalten werden.
- Medizinalcannabis braucht vereinfachte Zugänge, inklusive Schutz für verordnende Ärzt:innen.
- Genusscannabis sollte über lizenzierte Fachgeschäfte, Lieferdienste oder Clubs verfügbar sein – ohne medizinische Scheinbegründung.
3. Blockadehaltung bei Cannabis-Clubs beenden
Die Umsetzung darf nicht von politischen Stimmungen abhängig sein.
- Genehmigungsverfahren müssen bundeseinheitlich, transparent und zeitlich klar geregelt sein.
- Clubs dürfen nicht durch Bürokratie oder Willkür ausgebremst werden.
- Wo nötig, muss der Bund die Umsetzungspflicht der Länder gesetzlich sicherstellen.
Fazit: Regulierung braucht Vertrauen – nicht Verweigerung
Die zentrale Schwäche der Reform liegt im Widerspruch zwischen Erlaubnis und Verweigerung:
Konsum ist erlaubt – aber legale Zugänge sind kaum vorhanden.
Wer die Legalisierung ernst meint, muss sicherstellen, dass Konsumierende nicht auf ärztliche Gefälligkeitsrezepte, halblegale Eigenanbauversuche oder politisch blockierte Anbauvereinigungen angewiesen sind. Gesetze entfalten nur dann Wirkung, wenn sie in der Lebensrealität der Menschen auch umsetzbar sind.
Die von Teilen der konservativen Politik ins Spiel gebrachte Rücknahme der Legalisierung wäre hingegen nicht nur realitätsfremd, sondern auch kontraproduktiv. Millionen Menschen konsumieren Cannabis – unabhängig vom rechtlichen Status. Eine erneute Kriminalisierung würde den Konsum nicht senken, sondern lediglich die Kontrolle darüber aufgeben. Der Schwarzmarkt würde gestärkt und die Produktqualität bliebe unkontrolliert. Zugleich würden staatliche Ressourcen wieder verstärkt in die „Kiffer-Strafverfolgung“ gelenkt, deren Nutzen gesellschaftlich fragwürdig ist.
Gelingt es dagegen, den Zugang zu Cannabis rechtssicher, kontrolliert und praktikabel zu gestalten, hat die Reform das Potenzial, den Schwarzmarkt langfristig zurückzudrängen und Konsumierenden einen verantwortungsvollen Umgang mit Cannabis zu ermöglichen.